Giftiger Cocktail
Der österreichische Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden beschäftigt sich bei der Umweltschutzorganisation Global 2000 mit den Auswirkungen von Chemikalien auf Menschen und Umwelt.
Herr Burtscher-Schaden, wie kam es zu Ihrem Buch „Die Akte Glyphosat“?
Seit die WHO 2015 Glyphosat als wahrscheinlich für den Menschen krebserregend eingestuft hat – ein Jahr, nachdem die europäischen Behörden einen Persilschein ausgestellt hatten – befasse ich mich mit Glyphosat. Das führte zu meinem Buch und mehreren anderen Publikationen. Ich vertraute schon damals nicht dem Persilschein der EU-Behörden. Diese verstießen bei ihrer Bewertung systematisch gegen die eigenen Regeln. Dabei ist die wissenschaftliche Evidenz recht eindeutig.
Die Glyphosat-Hersteller behaupten, ihre Studien bewiesen das Gegenteil.
Die allerersten Krebsstudien mit Mäusen und Ratten, mit denen Monsanto in den 70er Jahren die Harmlosigkeit seines Pestizids beweisen wollte, stellten sich wenige Jahre später als Fake-Studien heraus. Sie waren nämlich Teil eines Betrugsskandals der zur Schließung des damals größten US-Prüfinstituts führte und für mehrer leitende Wissenschaftler Gefängnisstrafen bescherte. Die Wiederholungsstudien, die Monsanto auf Anordnung der US-Behörde vorlegen musste, zeigten aber dass jene Mäuse, denen Glyphosat unter das Futter gemischt wurde, häufiger an Krebs erkrankten. In der Folge wurde Glyphosat 1985 in den USA als “möglicherweise krebserregend für den Menschen” eingestuft. Diese Krebseinstufung wurde in den Folgejahren vom US-Konzern Monsanto, der hervorragende Beziehungen zu Behörde und Regierung unterhielt, mit allen Mitteln bekämpft. 1991 revidierte die US-Behörde schließlich ihre Krebseinstufung und ebnete damit den Weg zur weltweiten Vorherrschaft Monsantos auf dem Markt für genmanipulierte Pflanzen.
Was sagen andere Studien?
Seither haben zahlreiche weitere Glyphosat-Hersteller Zulassungen beantragt und dafür Krebsstudien mit Mäusen durchgeführen müssen. Jede dieser Studien zeigte statistisch signifikante Zunahmen von Tumoren mit steigender Glyphosat-Dosierung. Für die Krebsforscher der WHO war damit der eindeutige Beweis erbracht, dass Glyphosat bei Mäusen Krebs erzeugt. Solche Stoffe dürfen laut EU-Pestizidgesetz nicht zugelassn werden. Doch die Glyphopsat-Hersteller haben anhand genau derselben Studien behauptet, dass Glyphosat bei Mäusen nicht krebserregend sei. Die EU-Behörden stimmten dem zu.
Kann man von Labormäusen auf Menschen schließen?
Auch bei Menschen, die mit Glyphosat arbeiten, wurde ein Anstieg von Lymphdrüsenkrebs beobachtet. Dies zeigten epidemologische Studien aus den USA, Kanada und Schweden. Eine epidemiologische Studie, mit allerdings geringen Fallzahlen, konnte diesen Zusammenhang nicht nachweisen. Auf diese berufen sich jetzt die Verteidiger von Glyphosat. Doch andererseits zeigten Untersuchungen, dass Bewohner von Gebieten, die aus dem Flugzeugen mit Roundup besprüht werden, nach diesen Spritzungen DNA-Schäden aufweisen. Das kann der erste Schritt zur Entstehung von Krebs sein.
Was ist so gefährlich an Glyphosat?
Glyphosat ist nur der isolierte Wirkstoff. Es gibt aber kein einziges Mittel, das nur aus Glyphosat besteht. Enthalten sind zudem Hilfs- und Beistoffe, die die Wirkung von Glyphosat verstärken, indem sie die Oberfläche der Zelle durchlässiger machen und dem Wirkstoff das Eindringen in die Zelle von Pflanzen, aber auch von Säugetieren und Menschen, erleichtern. Deswegen sind die glyphosathaltigen Pestizide immer wirksamer, aber auch problematischer als das reine Glyphosat. Die Schwäche vieler Studien ist die, dass nur der Wirkstoff untersucht wird, und nicht die gesamte Formulierung. Die WHO hat sich beides angeschaut und kam zu dem Schluss, dass sowohl Glyphosat alleine als auch glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel wahrscheinlich krebserregend sind. Die Zahl verschiedener glyphosathaltiger Herbizide liegt laut WHO allein in den USA bereits bei über 750.
Warum wird an Glyphosat festgehalten?
Die Hersteller betonen immer wieder, welche Entwicklungskosten in einem Wirkstoff stecken. Es kursieren Zahlen von über 200 Millionen Euro. In der Tat ist es nicht möglich, einen Wirkstoff gerade mal so aus der Tasche zu zaubern. Was noch viel schwieriger ist, der harmlos für Mensch und Umwelt ist. Das Gesetz verlangt ja, dass Pestizide bei bestimmungsgemäßer Anwendung weder die menschliche Gesundheit noch die Umwelt schädigen dürfen. Dennoch stehen die Pestizide in Verdacht, einen Beitrag zum Bienen- und auch Vogelsterben zu leisten. Nicht jedes im gleichen Maße. Pestizide sind auch Teil einer landwirtschaftlichen Produktionsweise, die den Lebensraum für viele Arten zerstört.
Die konventionelle Landwirtschaft setzt weiterhin auf Pestizide.
Die Hersteller verkaufen ein Produkt, das ein Problem löst und dabei drei neue schafft. Um wiederum diese zu lösen, können die Hersteller drei neue Produkte verkaufen. Die europäischen Landwirte geraten immer mehr in die Abhängigkeit von Pestiziden. Die Landwirte sind nicht die Täter, aber sie fühlen sich in diese Rolle gedrängt. Gleichzeitig sinken sukzessive die Preise ihrer Produkte. Der Spielraum für alternative Produktionsweisen wird dadurch noch enger.
Wie beurteilen Sie die Zulassung von Glyphosat?
Die Industrie hat sich durchgesetzt. Aber anstelle einer Zulassung für 15 Jahre wurden es nur fünf. Dass die Zulassung nur durch einen Regelverstoß des deutschen Agrarministers möglich war, ist symptomatisch für die gesamte Diskussion. Was ich über das Zulassugsverfahren erfuhr, ist für mich der größte Skandal, den ich in meiner beruflichen Laufbahn erlebt habe. Dabei werden von Behördenseite immer dieselben Argumente wiederholt, die offensichtliche Falschdarstellungen sind. Das deutsche Bundesinstitut sagte 2015 erstmals: Der Grund, weshalb die WHO und sie zu unterschiedlichen Resultaten kamen, sei gewesen, dass die WHO die Aufgabe gehabt hatte, eine Gefahrenbewertung zu machen. In dieser zählt bereits die Stoffeigenschaft, ob es krebserregend ist oder nicht, während die Behörde eine Risikobewertung durchführen musste, in der es darum geht, ob beim Menschen ein Krebsrisiko besteht. Seit 2009 verlangt aber das EU-Gesetz für die krebserregende Wirkung eine Gefahrenbewertung nach dem Muster der WHO.
Der BfR-Bewertungsbericht erwies sich als Plagiat.
Große Teile des Berichts von Monsanto wurden abgeschrieben, was ein Gutachten des Plagiatsprüfers Stefan Weber bestätigte. Zentrale Kapitel, die z.B. von DNA-Schädigung oder Krebsstudien beim Menschen handeln wurden wörtlich übernommen – samt Bewertungen. Wenn eine Kontrollbehörde all ihre Argumente von Monsanto kopiert, ist es kein Wunder, dass diese Behörde zu denselben Schlussfolgerungen kommt. Monsanto behauptet, dass Glyphosat weder krebserregend noch DNA-schädigend sei.
Wie bei dem Betrugsfall in den 70er Jahren.
Wenn die US-Behörden sich damals diese Fake-Studien angeschaut hätten, wäre es nicht soweit gekommen. Doch es ist nicht nur Glyphosat. Die Menschen in Argentinien und Brasilien sind Stoffen ausgesetzt, die bei uns längst verboten sind. Wie Endosulfan und Parathion, die im Verdacht stehen, krebserregend und hormonschädigend zu wirken. Die Leute in den betroffenen Gegenden sind einem Cocktail von Giften ausgesetzt.
Interview: Stefan Kunzmann Foto: Philippe Reuter