Rund 100 schützenswerte Gebäude werden jährlich in Luxemburg abgerissen und müssen Neubauten weichen. Zeit, umzudenken?
Fotos: Philippe Reuter
Als die „Gëlle Fra“ 2010 anlässlich der Weltausstellung nach Shanghai reiste, herrschte helle Aufregung im Land. Das nationale Wahrzeichen wurde von heute auf morgen entfernt, wenn auch nur für ein paar Monate. Doch die „Gëlle Fra“ gehört nach Luxemburg wie der Eifelturm nach Paris. Im Gegensatz dazu provoziert das endgültige Verschwinden bauhistorischen Erbes in Luxemburg selten Reaktionen. Rund 100 schützenswerte Gebäude werden nach Angaben von Denkmalschutzvereinigungen jährlich abgerissen, ohne dass dies größere Empörung auslöst.
Der Wohnungsmangel, das knappe Bauland oder schlicht „moderne Erfordernisse“ werden meist als Begründungen genannt, wenn der Bagger anrückt und Gebäude von historischem Wert dem Erdboden gleichgemacht werden. An ihrer Stelle entstehen dann protzige Großprojekte oder funktionale Mehrfamilienhäuser, die einer Betonlandschaft gleichen – wie an der Peripherie Schifflingens oder Differdingens.
Im letzten Jahr hatten Luxemburger Denkmalschutzorganisationen vor der Chamber protestiert und dort symbolisch eine Mahnwache abgehalten. Auf Bannern am Boden zeigten sie Fotografien von zerstörten historischen Bauten der vergangenen Jahre: ein alter Bauernhof in Colpach, eine Kirche in Differdingen, ein Ensemble von Jugendstil-Villen in der hauptstädtischen rue Glesener, eine Reihe von Belle-Epoque-Häusern in der rue Michel Rodange. Nur in Einzelfällen kommt es anders, so wie beim Rosenzüchterhaus „Bourg-Gemen“ auf dem Limpertsberg, das gerettet werden konnte. Sechs Jahre lang lieferten sich dafür die Limpertsberger Geschichtsfreunde und eine Handvoll engagierter Bürger sowie zwei sozialistische Gemeinde-Abgeordnete ein Gefecht mit dem Schöffenrat und der Bürgermeisterin der Hauptstadt.
„Die Shopping-Mall am Royal Hamilius ist ein Projekt für die Promotoren, wo einige Leute sehr viel Geld dran verdienen, aber der Allgemeinheit nicht gedient ist.“ Franz Fayot

Großbaustelle: Hier entsteht die neue Shopping-Mall am Centre Hamilius.
Unterstützung bekommen die kleinen und engagierten Initiativen und Vereine aus der Luxemburger Politik kaum. Weder von Verbänden noch von staatlichen Stellen. Der Denkmalschutz führt ein stiefmütterliches Dasein. Seit Jahren stehen nur etwa 1.050 Gebäude im ganzen Land überhaupt unter Schutz. Rund 5.000 eigentlich schützenswerter Gebäude haben keinerlei Sicherheit, ca. 50 davon gehen pro Jahr kaputt oder verfallen. Bezeichnend ist auch, dass von den 500 sakralen Bauten in Luxemburg nur knapp 14 Prozent geschützt sind, obwohl das Denkmalschutzamt im Juli 2015 einräumte, dass die meisten dieser Gotteshäuser die Kriterien erfüllen, um als „Monument national“ eingestuft zu werden.
Dabei geht es nicht um das subjektive Empfinden, was schön oder hässlich ist. Denkmalschutz folgt wissenschaftlichen Kriterien. Was ein Kulturgut ist, wird etwa danach entschieden, ob das Gebäude einen Seltenheitswert, eine Bedeutung für die Sozial- oder Heimatgeschichte hat oder ob es das Werk eines herausragenden Architekten ist. „Man verbrennt ja auch nicht einen Picasso, weil er nicht schön aussieht, sondern man hängt es auf, weil es ein Picasso ist. Auch hässliche Gebäude können unter Denkmalschutz gestellt werden“, polemisiert Dr. Jochen Zenthöfer von der Vereinigung „Sauvegarde du Patrimoine a.s.b.l.“ und Herausgeber der Monumentum-Bände. Das Gebäude der Deutschen Bank auf dem Kirchberg etwa, ein Bau von Gottfried Böhm, der zu den berühmtesten Architekten der Nachkriegszeit zählt, könnte von den Eigentümern aus Kostengründen abgerissen werden, ist zwar ästhetisch umstritten, gilt aber als besonderes zeitgebundenes Architektenwerk und steht symbolisch für den Finanzplatz Luxemburg. „Denkmalschutz und Umweltschutz sind oft in einem Boot gemeinsam als Opfer, zum Beispiel bei der neuro-psychiatrischen Klinik in Ettelbrück“, betont der Jurist. Dort wurde kürzlich ein Pavillon des berühmten Luxemburger Architekten Sosthène Weis abgerissen. „Ein Bau, den man unbedingt hätte erhalten müssen. Und es wurden zudem etliche fast 100 Jahre alte Bäume gefällt. Da wurde weder die Naturverwaltung noch das Denkmalamt involviert“, berichtet Zenthöfer.