Ein Blitz schlägt in die Kuppel des Kapitols ein. Das Schallplatten-Cover der „Bad Brains“ mit diesem Motiv hat zumindest in Musikerkreisen eine gewisse Berühmtheit erlangt. Wer das vor vierzig Jahren aufgenommene Debütalbum der Punk-Reggae-Band aus Washington D.C. kennt, der weiß auch, dass ein Song darauf „Big Takeover“ heißt und von einer dem Untergang geweihten zerrissenen Nation handelt: „There is no love for this USA.“ Als sie das Album aufnahmen, haben die vier Bandmitglieder, allesamt Afroamerikaner, wohl kaum damit gerechnet, dass einmal eine rechtsradikale Meute von Anhängern des US-Präsidenten das amerikanische Parlament stürmen würde.
Demonstrieren, Besetzen, Widerstand leisten – das klang in den vergangenen gut fünfzig Jahren meistens nach Studentenrevolte, Bürger- und Menschenrechts-, Friedens- und Umweltbewegung. „Reclaim the streets“ hieß es einst seitens der Globalisierungskritiker. Ebenso stehen „Fridays for Future“ und „Black Lives Matter“ in dieser Tradition. Aber eben nicht nur: Auch rechtsgerichtete Gruppen haben die Straßen für sich reklamiert. Nicht nur mit Nazi-Aufmärschen und Pegida-Kundgebungen. So erinnern besonders die subversiven Aktionen der identitären Bewegung an linke Protestformen. Der Versuch einiger Rechtsextremer, anlässlich einer Demo gegen Anti-Corona-Maßnahmen den Berliner Reichstag zu stürmen, hat letztes Jahr bereits symbolhafte Bilder geboten. Dass ein Präsident Krawallmacher auf das Kapitol hetzt, das Herz der US-Demokratie, ist das bisherige Maximum an Eskalation. Besonders bedrohlich erscheint dabei, dass nach Umfragen etwa die Hälfte der republikanischen Wähler den rechtsradikalen „Walk in“ durchs Kongressgebäude in Ordnung fanden. Die Annahme, der Mob im Kapitol stehe nicht für das wahre Amerika, ist falsch. Viele Millionen Amerikaner denken ähnlich.
Nach Bidens Amtsübernahme gilt es, die Wunden zu heilen.
Verkehrte Welt? Vieles deutet darauf hin. Zum Beispiel haben Facebook und Twitter Donald Trumps Accounts gesperrt. Dabei hat die Reaktion der beiden Tech-Giganten einen bitteren Beigeschmack. Das Blocken von Konten und Internetzugängen ist sonst aus autoritären Systemen bekannt: In etlichen Ländern der Welt verhindern Regierungen damit den Zugang zu kritischen Webseiten. Prominente Beispiele sind China, Iran, Russland und die Türkei. Ob Facebook, Twitter, WhatsApp, Youtube oder Zoom, alle sind schon mindestens einmal dem totalitären Verdikt der staatlichen Allmacht zum „Opfer“ gefallen. Von Konzernen als „Opfern“ dürfte jedoch kaum die Rede sein. Im Gegenteil: „Die Diktatur der Konzerne“, wie der Autor, Menschenrechts- und Umweltaktivist Thilo Bode eines seiner Bücher genannt hat, gefährdet selbst die Demokratie. Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny hat nicht unrecht, wenn er behauptet, die Sperre sei eine Form von Zensur, mit der sich die Tech-Konzerne ihre Netzhoheit zunutze machen und sich eines unliebsamen Kunden entledigen wollen, während etliche diktatorische Herrscher weiter ihre Ideologien posten können. Außerdem haben sie zuvor jahrelang die Trump-Attacken geduldet und von ihnen profitiert. Als der US-Präsident im vergangenen August per Dekret verfügte, den chinesischen Konkurrenten TikTok aus den App Stores zu verbannen, hatten sie nichts dagegen. Nun ziehen sie die Notbremse. Zwar können sie Trump dadurch zwischenzeitlich stoppen. Doch nicht seine Anhänger.
Der scheidende Machthaber hatte noch einen Triumph gefeiert, als er den US-Konzernen Oracle und Walmart seinen Segen für die neue Firma namens TikTok Global gab. Der geniale Deal, von dem er sprach, war es jedoch nicht, ein „Big Takeover“, von dem Unternehmen gerne schwärmen, schon gar nicht. Vielmehr war es eine protektionistische Maßnahme, hinter der das Silicon Valley stand. Der Protektionismus kann der amerikanischen Tech-Branche langfristig sogar schaden, indem das digitalökonomische Wettrüsten zwischen USA und China angeheizt wurde – ein „digitaler Kalter Krieg“, wie der Politikwissenschaftler Daniel Leisegang schreibt. Mit TikTok als einem trojanischen Pferd. Und Sicherheitsrisiko. Mit dem muss sich die neue US-Regierung herumschlagen. Auf Präsident Joe Biden wartet eine Herkulesaufgabe. Sein Vorgänger hinterlässt viel verbrannte Erde. Nach Bidens Amtsübernahme am 20. Januar gilt es, die Wunden zu heilen, die Trump aufgerissen hat.