Mit acht Entscheidungen fürs Leben treffen? Zu früh. Nicht aber, wenn es um religiöse Glaubensbekenntnisse geht. Religionswissenschaftler und Journalist Yannick Lambert über religiöse Mündigkeit, die christlich-katholische Kommunion und zwei ihrer weltweit bekanntesten Pendants.
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Die Erstkommunion ist in Luxemburg immer noch ein Ding. Ein großes. Wer jetzt abwinkt und nuschelt ‚Wer macht denn heut noch so was?‘ kann die Hand gleich wieder senken. Oder sie sich vor die Stirn schlagen. Der religiösen Gesinnung oder Nicht-Gesinnung entsprechend. 2016 nahmen immerhin 3.298 Kinder an der Erstkommunion teil. 1970 waren es im katholisch geprägten Luxemburg noch deutlich mehr. 4.891 um genau zu sein. Aber dennoch liegen zwischen dem Jahr, in dem Kirchenfabriken abgeschafft werden, und rezenten Zahlen zu Kommunionskindern nur zwei Jahre. Historisch betrachtet ein Katzensprung. Ein schmaler Spalt zwischen Wende und Tradition.
Yannick Lambert, der seine Studien in „Religious Studies“ (Universität Edinburgh) und „Classical Indian Religion“ (Universität Oxford) mit Masterdiplomen abschloss, sieht darin keine Absurdität, keinen Widerspruch: „So lange es Gläubige und Praktizierende gibt, die sich einer Gemeinschaft angehörig fühlen, werden diese auch diejenigen Rituale mitmachen, die ein Gemeinschaftsgefühl stiften.“
Die Erstkommunion ist in Luxemburg immer noch ein Ding. Ein großes.
Ohne eine Praxis, die durch Riten festgesetzt werde, seien viele Religionen laut Lambert ohnehin nicht nötig. „In den meisten Glaubensrichtungen ist Religion Praxis. Bei der katholischen Kommunion handelt es sich ja auch um die Kommunion mit etwas Transzendentem – nämlich dem Leib Christi und der Kirche. Ohne die ritualisierte Umformung wäre die Kommunion im katholischen Kontext nicht möglich.“ Er verweist dabei auf Emile Durkheim, der als Begründer der Erforschung des sozialen Aspekts von Religionen gilt: „Er sah gemeinschaftliche Rituale als Werkzeuge an, durch die die kollektiven Glaubensstrukturen an das Individuum weitervermittelt werden und diese dem Ganzen einverleibt werden können.“
Dass solche Riten nicht allein Steckenpferd der Religionen sind, liegt für Lambert auf der Hand. Es braucht kein Goldkettchen mit Kreuzanhänger um den Hals, um das zu verstehen. Und auch die Kippa muss dafür nicht sein. Ein Besuch traditionsreicher Universitäten zum Semesterstart oder zu Abschlussfeiern tun es auch, oder um es mit Lamberts Worten zu erklären: „Säkularisierte Gesellschaften kennen ähnliche Momente, wie etwa den Übergang von einer Bildungsstufe zu einer anderen. Gerade die Graduations-Zeremonien mancher Universitäten in Europa können als Aufnahmeriten angesehen werden. Stiftung von Zusammengehörigkeit und Gesellschaftsbildung durch gemeinschaftliche Inszenierungen und Gesten scheint mir eine anthropologische Grundkonstante zu sein.“ Es sind Momente, die zusammenschweißen. Die einen einweihen in eine Welt, die einem bis dahin verborgen oder zum Teil verschlossen war. Wie die Partyräume auf dem Uni-Gelände. Von der Uni zurück zur Religion: Lambert unterscheidet trotz Parallelen strikt zwischen Aufnahmezeremonien und religiösen Übergangsriten. Zu letzteren zählen die Erstkommunion und vergleichbare Traditionen.
Übergang, weil sie nur bereits getauften, beziehungsweise dem Glauben durch mütterliche Abstammung zugehörigen Kindern und Erwachsenen, zugängig sind. Kommunion und Konfirmation markieren im Christentum die erste Glaubensbestätigung nach der Taufe. Ähnlich verhält es sich im vererbten Judentum mit der Bar Mitzwa für Jungen und der Bat Mitzwa für Mädchen. Im Hinduismus ist die Upanayana-Zeremonie ein ähnliches Moment. Wenngleich alle Riten anders gestaltet werden, liegt das Alter der jungen Gläubigen – abgesehen von Erwachsenen, die sich erst später zu einem Glauben bekennen oder zu diesem konvertieren – doch immer unter fünfzehn Jahren. Bei der Erstkommunion und dem hinduistischen Fest sind die meisten zwischen Acht und Zwölf. Den jüdischen Brauch begehen sie in der Regel im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren. Die evangelische Konfirmation mit vierzehn.
Autofahren mit acht? Undenkbar. Offizielle Dokumente unterzeichnen mit vierzehn? Nicht gestattet. Religiöse Mündigkeit erlangen? Kein Thema. Klingt paradox und überspitzt, entspricht aber der Realität. Im Kontext der Übergangsriten ist oft die Rede von religiöser Mündigkeit. Von Reife. Eigenverantwortung. Begriffe, die die Buzzer bei der Tv-Show „Das Familienduell“ nicht aufheulen lassen, wenn sich die Frage nach Eigenschaften von Minderjährigen stellt. Allein, weil sie rein rechtlich gesehen noch der Vormundschaft ihrer Eltern unterstehen. Nicht zuletzt befinden sie sich auch mit zwölf oder dreizehn noch in einer Zeit des sich Findens, des Ausprobierens, des pubertieren, die in Glaubensfragen für viele sogar weit über die Pubertät hinausgeht. Und seien wir ehrlich: Wie viele Kinder sind sich bewusst, was sie mit der Erstkommunion bezeugen und wie viele befolgen schlichtweg den Rat oder Willen ihrer Eltern? Was Mündigkeit überhaupt bedeutet, variiert nicht zuletzt auch von Kulturkreis zu Kulturkreis.