Zurück zu den Bildern der neuen Ausstellung, die dem Thema der Maske als Fetisch gewidmet ist. Es hätte eine Zeit gegeben, in der vermummte Menschen drei Tage lang ungesühnt morden durften, so Etienne Braun. Und aus diesem „Brauch“ sei die Fastnacht geboren. Dann fällt ihm prompt noch die Filmreihe „Purge Anarchy“ ein, in welcher die jährlichen „Säuberungen“ zwölf Stunden dauern, und die Tatsache, dass die Kelten sich bei Begräbnissen einst Asche ins Gesicht schmierten, damit der Geist des Verstorbenen sich nicht in die Körper der Lebenden einschleicht. Sich mit dem 1953 in Longeville-les-Metz geborenen Fotografen zu unterhalten, ist, als würde man einen verpassten Geschichts- und Religionsunterricht nachholen. Zu fast jeder Aufnahme fällt ihm eine Geschichte ein. Die lustigste ist die des Heiligen Crispinus, Schutzpatron der Schuhmacher. Unweit von Limpertsberg gibt es eine kleine Höhle zu Ehren des christlichen Märtyrers. Dort spick(t)en Frauen gesegnete Kerzen mit kleinen Nadeln, bevor sie sie anzünden. Beim Abbrennen des Wachses, wenn die Nadeln zu Boden fallen, wird derjenige bestraft, der bestraft werden soll – Voodoo-Zauber nennt sich das. „Ech war zimlech iwwerrascht, datt nach Käerzen an Nolen do louchen, wéi mir Fotoe gemaach hunn.“ Nicht mit Kerzen, sondern mit pickigen Dildos.
„ Ech hu kee Problem mam Jesus, awer mat sengem Fanclub.“ Etienne Braun
Vibratoren spielen auch auf anderen Fotografien eine „spaßige“ Rolle. Mal stehen sie im Geschirrspüler, mal in einem Pflanzenhaus, wo sie gegossen werden. „Ech probéieren am Fong ëmmer, witzeg Momenter a meng Fotografie eranzebréngen.“ Über das Bild mit dem gekreuzigten Christus, der auf einer rasierten Möse liegt, werden Anhänger der katholischen Kirche indes kaum lachen, oder? „Ech hu kee Problem mam Jesus, awer mat sengem Fanclub“, steht unter der Aufnahme. Mehr muss dazu nicht gesagt werden. Pornografie kann man ihm nicht vorwerfen, mit der Bezeichnung „pervers“ für seine Sado-Maso-Inszenierungen ist zu leben. Es gäbe in jeder Beziehung einen, der den anderen dominiert, oder sich gern dominieren lässt. Zudem bedeutet „pervers“ nichts anderes als „anders“. Sex ist so bunt und vielfältig wie das Leben, und was für viele als „abwegig“ gilt, muss es nicht für alle sein.

© Philippe Reuter
Darüber, dass die meisten Kunden nicht schon auf der Vernissage zu erkennen geben, welches Bild sie mögen, sondern an den folgenden Tagen anrufen, um einen weiteren Besuch oder ihr Interesse an einer bestimmten Fotografie anzumelden, kann Etienne Braun nur lächeln. Was ihm wichtiger ist, ist die „Natürlichkeit“ seiner Models. Die meisten spricht er ganz spontan auf der Straße an. „Ech siche keng Mannequinen. Ech hu gewéinlech eng konkret Iddi am Kapp, a fir déi ze realiséieren, brauch ech de richtege Model.“ Im obersten Geschoss der früheren Scheune des Familienanwesens ist ein großräumiges Fotostudio eingerichtet. Allerdings arbeitet Etienne Braun auch im Freien, schickt die Models in extravaganten Outfits in die hauptstädtische Grand-Rue oder vors großherzogliche Palais und lauert auf die Reaktionen des Publikums. „Déi meescht kucke just, mee soen näischt.“
Er selbst reagiert hingegen sehr phantasievoll auf alles, was ihm nicht passt. Als die Tour de France 2010 in Luxemburg Station macht und das Cid-Femmes vehement gegen ein „sexistisches“ Werbeplakat des Unterwäscheherstellers Sloggi protestiert, pflanzt er seine Kamera vor der Bushaltestelle „Philharmonie/Mudam“ auf und fotografiert dort eine Frau, die einen Mann mit Hundeledermaske an der Leine hält. Im Hintergrund sieht man Plakat mit viel nackter Haut und ein paar Fahrräder. „Ech wëll mat menge Biller eppes erzielen.“ Oder den Betrachter zumindest dazu anregen, sich eine eigene Geschichte auszudenken. Und was ist mit dem Selbstporträt, das Etienne Braun als Marquis de Crauthem darstellt? „Ech ka mech och iwwert mech selwer lëschteg maachen.“ Stimmt. Worüber er sich hingegen ärgern kann: Bilderklau. Deshalb hat er keine eigene Homepage, sind so gut wie keine Fotos von ihm im Internet zu finden. Ihn sich als Möbelverkäufer vorstellen? Unmöglich. Die erste Einbauküche, die 1958 im Geschäft seiner Familie „Meubles Violette Braun“ stand, hat er allerdings „gerettet“ und restauriert. Nun sammelt er passende Accessoires. Ein Emailschild von „Fanta“ hängt bereits über einer Schrankzeile. „Dir wësst jo, dass d’Fanta 1943 vun däitsche Chemiker erfonnt gouf, well d’Amerikaner den Nazie keng Cola wollte verkafen?“ Jetzt wissen wir’s.
Vernissage: 15. September ab 19 Uhr in der Rue Dr. Schumacher in Crauthem, Ausstellungsdauer: bis 15. Oktober, Kontakt: etiennebraun@me.com