Es gibt kein Entkommen: Außerirdische Transvestiten erobern das Großherzogtum. Nach „Notre Dame de Paris“ holt das Atelier mit der „Rocky Horror Show“.ein weiteres Musical nach Luxemburg. (Text: Françoise Stoll / Foto: Jens Hauer)
Ein Partyhütchen, ein Gummihandschuh, eine Wasserpistole und eine Rolle Klopapier – das ist die Basisausstattung eines jeden Zuschauers. Die „Rocky Horror Show“ ist nicht wie andere Musicals. Den Ruf als „enfant terrible“ des Genres hat sie sich verdient. Weltweit sind bereits mehr als 20 Millionen Menschen in den Genuss der exklusiven Show gekommen. Der Kult geht auf die Uraufführung (1973) im „Royale Court Theatre“ in London und den gleichnamigen Film (1975) zurück. Nun lernt auch Luxemburg den transsexuell-transsilvanischen Lebensstil kennen, beziehungsweise kann ihm nicht mehr entkommen. „Die Türen sind geschlossen“ betont der Erzähler mehrmals, „hier müssen sie durch“. Und so ist es in der Tat.
Halbnackte Frauen, Männer, Transvestiten räkeln sich auf der Bühne. Brad und Janet, ein biederes Ehepaar, sind dieser burlesken Welt hilflos ausgeliefert. Durch eine Autopanne sind sie gezwungen in der Mitte von Nirgendwo anzuhalten. Bei stürmischem Wetter suchen sie in einem naheliegenden Schloss Zuflucht und wollen lediglich das Telefon benutzen. Eine obskure Gestalt namens Riff Raff, ein Zombie im Hippie-Format, geleitet die beiden in die Räumlichkeiten. Die Tür schnappt zu und jeder weiß: so leicht kommt das konservative Paar da nicht mehr raus. Im Anwesen von Doktor Frank’n’Furter geht einiges nicht mit rechten Dingen zu. Der teuflische Hausherr ist Nymphomane – Femme fatale, wenn man so will – und verrückter Wissenschaftler. Seine exzentrische Dienerschaft unterstützt ihn beim Versuch ein Wesen zu erschaffen, das primär für sein eigenes sexuelles Vergnügen sorgen soll. Brad und Janet werden unfreiwilliger Weise Zeugen des letzten Experiments. Das Ergebnis ist Furters größter Erfolg: der blonde und muskulösen Rocky. Es kommt, wie es kommen muss. Das kleinkarierte Paar verlässt das Schloss nicht, ohne sich dem Verlangen gegenüberzustellen und diesem nachzugeben…
Ob weiblich oder männlich, eingefleischte Fans kleiden sich wie die Hauptdarsteller und kommen in Negligé und Strapsen zur Aufführung.
Die Story scheint nicht nur absurd, sie ist auch. Doch genau das ist die Stärke der „Rocky Horror Show“. Irrsinn, Schrillheit, Charme und Humor werden großgeschrieben. Die sexuellen Anspielungen sind so überspitzt, dass man sich spätestens bei „Time Warp“ ein Kopfschütteln oder ein Lächeln abringen muss. Sex, Trash und Rock’n’Roll unterscheiden die Show deutlich von herkömmlichen Darbietungen. Bei „Rocky Horror“ handelt es sich um ein Vollblut-Musical und keine Adaptation. Ob weiblich oder männlich, eingefleischte Fans kleiden sich wie die Hauptdarsteller und kommen in Negligé und Strapsen zur Aufführung. Sie sprengen die eigenen Grenzen und brechen, wenn auch nur für einen Abend, aus dem normalen Leben aus. Hier geht es um mehr als um einfaches Mitmachen, nämlich um eine Zelebration des Musicals und dessen Ideologie.