Wer heute mehr als drei Kinder hat, gilt hierzulande schon fast als Exot. Wie lebt es sich als große Familie? Welche Tücken lauern im Alltag? Und wie gelingt es den Eltern, allen Kindern die nötige Aufmerksamkeit zu schenken? Ein Besuch bei der Großfamilie Bichler aus Ellingen. (Fotos: Christophe Olinger)
Mittagessen bei einer neunköpfigen Familie: Noch ist alles ruhig. Gleich werden alle sieben Kinder nach und nach eintrudeln. Die Lasagne brutzelt im Ofen, der lange Tisch ist fertig gedeckt. „Wollen Sie mitessen?“, fragt Vater Gérard Bichler gleich zur Begrüßung. Als gegen 12.30 Uhr ein kurzes Tischgebet gesprochen wird, sitzen schließlich alle am Tisch. Direkt beginnt eine lebhafte Diskussion: „Wie war es heute in der Schule?“, „Was macht das Studium?“ Schnell wird klar: In einer kinderreichen Familie muss sich jedes Kind durchsetzen. Wer nicht den Mund aufmacht, geht unter. Sieben Kinder – sieben unterschiedliche Charaktere und Bedürfnisse.
„Haben deine Eltern keinen Fernseher?“ „War das geplant?“ oder gar „Muss ein sechstes oder siebtes Kind wirklich sein?“ Die Großfamilie Bichler hat sich schon Einiges anhören müssen. Abschätzige Blicke hat es auch im Dorf immer wieder gegeben – vor allem zu Beginn, als die Familie Ende der 80er Jahre aus Sandweiler in das alte Bauernhaus nach Ellingen bei Mondorf gezogen ist. „Die Diskriminierung hat mich damals stark getroffen. Mir war es lange peinlich, wenn ich für ‚Kleeschensdag‘ sieben Schokoladenweihnachtsmänner einkaufen musste. Allein die Blicke der Kassiererin“, erinnert sich Brigitte Bichler-Feyder. Damals konnte sie noch nicht so selbstbewusst zu ihrem Kinderreichtum stehen. Inzwischen ist das längst passé. „Man wächst eben mit seinen Aufgaben“, schmunzelt die heute 53-Jährige.
Eine eigene Großfamilie zu haben, bedeutet für sie unendliches Glück.
„Das Gerede der Leute hat mir nie etwas ausgemacht. Ich habe immer sofort gekontert“, meint der 24-jährige Sohn Patrick, der heute als Schreiner arbeitet. „Hier ist immer was los und es kommt nie Langeweile auf“, sagt der 10-jährige Charel, der das Schengen-Lycée in Perl besucht. Seine Geschwister nicken. Für seine älteste Schwester Anne ist das gemütliche Zusammensitzen in den Abendstunden das Schönste an der Großfamilie. „Wir lachen viel und haben oft stundenlang Gesellschaftsspiele gespielt“, so die diplomierte Tierärztin, die zurzeit neben der Arbeit an ihrer Doktorarbeit schreibt. Auf die Frage, ob sie sich selbst später eine Großfamilie wünscht, winkt Anne Bichler schmunzelnd ab. „Ich arbeite gerne und will meine Karriere nicht aufgeben. Ein oder zwei Kinder könnte ich mir aber vielleicht vorstellen.“ Der starke Zusammenhalt und die Gemeinschaft sei das Beste, ergänzt Patrick. „Manchmal hat es mich aber genervt, dass wir Jungs nie ein eigenes Zimmer hatten. Gerade in der Pubertät war es nicht immer toll, so viele Geschwister zu haben“, findet Michel, der heute Bauingenieurwesen in München studiert. Der 23-Jährige hat oft sein eigenes Ding gemacht, er war als Einziger nicht bei den „LGS Scouten“ in Remich aktiv.

Erfolgreiche Familienmanagerin: Viele Jahre hat sich Mutter Brigitte allein um den Haushalt und die Kindererziehung gekümmert, ihren Job als Erzieherin gab sie wegen der Kinder auf. (Foto: Christophe Olinger)
Familien wie die Bichlers – berufstätige, gebildete Luxemburger der Mittelschicht mit vielen Kindern – sind heute rar geworden. Gérard Bichler arbeitet ganztags als Buchhalter bei einer Bank, seine Frau ist gelernte Erzieherin. Einige Jahre hat sie in einem Kinderheim gearbeitet. „Dann kamen meine Kinder und ich wollte nur noch für sie da sein. Deshalb habe ich meinen Beruf für sie geopfert“, gibt die siebenfache Mutter zu. Eine eigene Großfamilie zu haben, bedeutet für sie unendliches Glück.
Kinderreiche Familien werden in allen Industrienationen immer weniger, Demografen befürchten sogar das baldige Aussterben der Großfamilie. So ist die Zahl der Mehrkindfamilien bereits auf zwei bis drei Prozent in der Bevölkerung geschrumpft. Nachwuchs ist heute kein selbstverständlicher Teil der Lebensplanung mehr. Vielen jungen Menschen sind der Job, Freunde, Hobbys oder der Partner wichtiger. Andere haben Angst, ihren Lebensstandard nicht halten zu können. Laut Statec hat ein Paar im Großherzogtum heute durchschnittlich 1,55 Kinder, in den 60er Jahren waren es dagegen noch 2,24. In früheren Zeiten galten Kinder als Altersvorsorge für ihre Eltern. In einigen Entwicklungsländern ist das heute noch so.
Für das Ehepaar Bichler war immer klar, dass es viele Kinder möchte. „Wir haben uns schnell auf sechs Kinder geeinigt. Warum? Keine Ahnung, vielleicht weil es eine gerade Zahl ist, aber es sind dann doch sieben geworden“, lacht der 54-jährige Familienvater, der für die CSV im Mondorfer Gemeinderat sitzt. Finanzielle Einschränkungen kennt die kinderreiche Familie kaum. Mit dem Gehalt des Vaters und dem damaligen Kindergeld von rund 2.000 Euro ist die Familie gut über die Runden gekommen. Sogar Taschengeld für die Kinder und alle zwei Jahre ein Urlaub seien immer möglich gewesen. Auch auf saubere Kleidung und gutes Aussehen ihrer Sprösslinge haben die Eltern stets großen Wert gelegt. „Zum Glück hatten unsere Kinder auch in der Schule kaum Probleme. Drei haben studiert bzw. zwei sind noch dabei. Die anderen arbeiten im Handwerk. Beide Bereiche sind für uns gleichwertig.“
„Wir haben uns schnell auf sechs Kinder geeinigt. Warum? Keine Ahnung, vielleicht weil es eine gerade Zahl ist, aber es sind dann doch sieben geworden.“ Gérard Bichler, siebenfacher Vater
Was sich viele Hausfrauen als blanken Horror vorstellen, ist für Brigitte Bichler-Feyder viele Jahre Alltag. Täglich laufen bei ihr mehrere Waschmaschinen, täglich wird für neun Personen gekocht, dazwischen bügelt sie, hängt Wäsche auf, beaufsichtigt die Hausaufgaben der Kinder und lernt mit ihnen, geht einkaufen und versorgt zwischendurch auch noch ein Baby. „Ich habe jedes Kind durchschnittlich zwölf Monate gestillt und die Nachtschichten übernommen. Deshalb hat sich mein Mann morgens um das Frühstück gekümmert.“ Die frühe Selbstständigkeit ihrer Kinder sei unabdingbar gewesen. Wie sonst wäre der Alltag der vielen Familienmitglieder überhaupt machbar gewesen? Ob Anne, Patrick, Michel, Paul, Jacques, Claire oder Charel – sie alle haben daheim mitangepackt. Den Tisch abräumen, Geschirrspülen und abtrocknen, mit dem Hund Gassi gehen oder das Zimmer aufräumen. „Ich musste mich oft um meine kleinen Brüder kümmern und sie im Kinderwagen spazieren fahren. Dazu hatte ich natürlich nicht immer Lust“, berichtet die 27-jährige Anne.
Woher hat Brigitte die Kraft genommen, den Alltag mit den sieben Kindern zu meistern? „Das war nicht immer einfach. Ich war abends oft erschöpft und nahe am Burnout. Unsere Kinder mussten abends immer relativ früh ins Bett, damit wir uns etwas erholen konnten“, erzählt die Powerfrau. Seit 15 Jahren gönnt sie sich zudem einmal im Jahr eine Auszeit, um neue Energie zu tanken – und geht eine Woche allein zum Fastenwandern mit Meditation. Inzwischen ist es viel ruhiger bei den Bichlers geworden. Nur noch drei Kinder halten derzeit das Leben des Paares auf Trab. Und jetzt haben endlich die Eltern mehr Zeit, ihren Hobbys nachzugehen.