Der Krieg in der Ukraine lässt die Preise für Futter und Düngemittel steigen – und damit auch die für Lebensmittel. Die Versorgungssicherheit rückt wieder in den Vordergrund.
„Russland bombardiert Getreidelager“ – mit diesen Worten hat kürzlich die Zeitung „De Lëtzebuerger Bauer“, getitelt. Anlass war, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zunehmend eine globale Ernährungsunsicherheit insbesondere in Afrika, im Nahen Osten und in Lateinamerika, aber auch im asiatisch-pazifischen Raum auslöst. Was heißt: Der Hunger breitet sich weltweit wieder aus.
Als sich die Außenminister der Europäischen Union in Luxemburg trafen, erklärte Josep Borell, der EU-Außenbeauftragter, die Hintergründe. Die russische Armee vernichte nicht nur gezielt Getreidelager, sondern verhindere Exporte von Weizen per Schiff. Auch Traktoren und anderes landwirtschaftliches Gerät würden zerstört. „Trotz der Kriegshandlungen in der Ukraine haben die Feldarbeiten in fast allen ukrainischen Oblasten begonnen“, heißt es in dem Zeitungsartikel. Anderen Medienberichten zufolge fahren im Osten des vom Krieg gebeutelten Landes Bauern nur noch mit Schutzwesten auf die Felder. Viele können nicht mehr aussäen, die nächste Ernte droht auszufallen. Außerdem hat Russlands Präsident Wladimir Putin damit gedroht, kein russisches Getreide mehr an „feindliche“ Staaten zu liefern. Doch auch ohne seine Drohungen: Im März sind die Getreidepreise weltweit um mehr als ein Drittel gestiegen.
Allgemein wird weiter ein „Preisanstieg auf breiter Front“ erwartet, heißt es in einem Interview in „De Lëtzebuerger Bauer“ mit dem Vorsitzenden des Agrarausschusses im Europaparlament, dem deutschen EVP-Politiker Norbert Lins. Und der frühere CSV-Abgeordnete und Diplomingenieur Marcel Oberweis schreibt in derselben Ausgabe der Zeitung: „Die deutlich gestiegenen Getreidepreise stellen ein höchst brisantes Problem dar für die Länder, welche eine hohe Abhängigkeit von den Importen aus der Ukraine haben.“
Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wirft Russland vor, gezielt die landwirtschaftliche Infrastruktur der Ukraine zu attackieren. Nutzt Putin gar Hunger als Waffe? Fakt ist, dass die Ukraine einer der größten Weizen-Exporteure der Welt ist. Sie liegt hinter Russland, der EU, Kanada, USA und Australien auf Platz sechs. Nummer eins ist Russland, das rund ein Fünftel des weltweiten Weizens exportiert. Bei Sonnenblumenöl liegt es mit 28,9 Prozent auf Platz 2, hinter der Ukraine mit 46,9 Prozent. Russland ist zudem Weltmarktführer bei Dünger: Es produziert rund 15 Prozent der weltweit gehandelten Stickstoffdüngemittel und 17 Prozent des Düngers auf Basis von Pottasche (Kaliumcarbonat). Viele Länder beziehen mehr als die Hälfte ihres Düngers aus Russland. Doch unter anderem von Pottasche hat Russland in den vergangenen Wochen den Export gestoppt.
Um den betroffenen Ländern bei der Lebensmittelsicherheit unter die Arme zu greifen, hat die EU 240 Millionen Euro für Länder in der Sahel-Zone noch in diesem Jahr angekündigt. Borell warnte allerdings auch davor, dass eine „schnell gekochte“ westliche Antwort in Form von Lebensmittelexporten der Produktion in den jeweiligen Ländern schaden könnte.
Und wie sieht es in Luxemburg aus, dessen Landwirtschaft stark von Importen insbesondere von Futtermittel und Dünger abhängt? Das Großherzogtum importiert kaum Getreide aus Osteuropa, wie aus der Antwort von Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) auf eine parlamentarische Anfrage von André Bauler (DP) hervorgeht. Das Land könne sich mit Weizen, Gerste, Roggen und Hafer selbst versorgen. Mineralischer Dünger hingegen müsse importiert werden. Zwar sind die größten Düngemittelhersteller in Europa Russland und Belarus, doch Luxemburg importiert mineralischen Dünger aus den EU-Nachbarländern.
Das luxemburgische Landwirtschaftsministerium gab am 22. März einige Sofortmaßnamen bekannt, um den Agrarsektor zu unterstützen. So werden etwa Corona-bedingte Direkthilfen für die Schweinezüchter weiter bezahlt. Zudem sollen etwa 260 Hektar brachliegende Flächen zumindest temporär für die Erzeugung von Lebens- und Futtermittel genutzt werden, wie Landwirtschaftsminister Claude Haagen (LSAP) zusicherte.
„Es gibt mehr als genug Nahrungsmittel, um die Welt zu ernähren, auch jetzt bei diesem Krieg“, zitiert die Wochenzeitung „woxx“ die auf Weltgesundheit spezialisierte Medizinerin Sabine Gabrysch vom Potsdam-Institut für Klimaforschung. „Allerdings wird das Getreide an Tiere verfüttert, als Biokraftstoff verschwendet, anstatt hungrige Menschen zu ernähren.“ Ihr Fazit: Weniger tierische Produkte in der Ernährung, stattdessen erhöhte Produktion von Hülsenfrüchten – und damit auch weniger Verschwendung von Lebensmitteln. Eine entsprechende Erklärung haben bisher mehr als 600 Wissenschaftler unterschrieben.
Der „Green Deal“ der EU, der angesichts des Ukraine-Krieges etwas in den Hintergrund geraten zu sein schien, darf demnach nicht ausgebremst werden, wie von manchen Lobbyisten der Agrarindustrie gefordert. Der Krieg hat jedenfalls einmal mehr gezeigt, dass viele Staaten nicht nur von Russland als Energielieferant, sondern auch von dessen Getreide-, Dünger- und Tierfutterexporten abhängig sind.
Die grüne EU-Abgeordnete Tilly Metz hält es für problematisch, dass die EU-Kommission dazu bereit ist, die Nachhaltigkeitsziele der Union im Bereich der Lebensmittelproduktion zu überprüfen. „Am problematischsten finde ich die Forderung, den Anbau von Futtermittel für Nutztiere in der EU massiv auszuweiten, wobei schon seit Jahren klar ist, dass wir sowohl die Zahl der Tiere wie auch den Anbau von Monokulturen für Futtermittel reduzieren müssen“, schrieb sie kürzlich in einem Beitrag für das Luxemburger Wort. „Was wir brauchen, ist nicht mehr Futter für europäische Nutztiere, sondern höchstens den Anbau von mehr Getreide und Gemüse für den Menschen, um von Hungersnot bedrohten Regionen aushelfen zu können.“
In der Diskussion um eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit spielt die Landwirtschaft allgemein eine große Rolle. Die EU-Kommission als Teil des „Green Deals“, durch den Europa bis 2050 klimaneutral werden soll, hat ihre sogenannte Farm-to-Fork-Strategie vorgelegt. So soll zum Beispiel bis 2030 der Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent und der von Düngemitteln um 30 Prozent reduziert werden.
Der Ukraine-Krieg hat verstärkt die Versorgungssicherheit ins Spiel gebracht. Nun besteht die Herausforderung darin, „die kurzfristige Nahrungsmittelerzeugung nicht gegen die langfristigen Erfordernisse beim Schutz von Klima und Biodiversität auszuspielen“, formuliert es Peter H. Feindt. Auf kurz oder lang ist nach den Worten des Professors für Agrar- und Ernährungspolitik an der Berliner Humboldt-Universität eine Lösung „kaum ohne Verminderung der Tierhaltung und damit des Futtermittelbedarfs vorstellbar“. Dies gilt auch für die hiesige Landwirtschaft.
Foto: Julien Garroy (Editpress)