In dem Gedicht „Eldorado“ erzählt Edgar Allan Poe von einem Edelmann, der sein Leben damit verbringt, dem Tod zu entfliehen. Désirée Wickler widmet diesem Thema eine Ausstellung, die zum kritischen Hinterfragen des eigenen Handelns herausfordert.
Er lauert überall. Niemand kann ihm entkommen. Und doch ist und bleibt der Tod ein Tabuthema. Nicht jedoch für Désirée Wickler. Für sie gehört die Auseinandersetzung mit dem Sterben zum Leben. Genau wie andere Themen, über die man nicht gern in der Öffentlichkeit spricht: Sex und Gewalt. Und so ringen oder kopulieren auf ihren großformatigen und sehr ausdrucksstarken Bildern nackte Menschen mit einem Skelett.
Für das Motiv des Totentanzes würde sie sich schon seit langem interessieren. Allerdings geht es ihr bei ihrer aktuellen Ausstellung keineswegs darum, den Betrachter mit der Darstellung „wilder“ Posen und schockierender Details zu verstören, vielmehr soll „Eldorado“ zum Nachdenken über gesellschaftliche Machtverhältnisse und einzelne Abhängigkeiten anregen. Über Manipulation und Konsumverhalten. Jedes sich den Fenstern und dem Gewölbe der Abtei Neumünster anpassende Bild wirft Fragen zu einem ganz bestimmten aktuellen Thema auf.
Désirée Wickler spielt in ihrer Kunst gern mit Gegensätzen. Vor allem mit Schatten und Licht.
Warum strebt die Menschheit Unsterblichkeit an, während die Welt auf einen Abgrund zusteuert? Wieso muss alles stets perfekt sein, wenn am Ende doch alles zerfällt? Anscheinend beginnt der menschliche Körper schon fünf Minuten nach dem Tod zu verwesen. Wobei die Zellen sich von innen nach außen lösen und das Gewebe erst flüssig, dann gasförmig wird. Simon Beckett-Leser kennen die Chemie des Todes. Désirée Wickler macht sie sichtbar. Als düster würde sie ihre Arbeiten nicht bezeichnen. Stattdessen spricht sie von einer positiven Botschaft. Einer Art Warnung vor dem Weitermachen wie bisher. Und es ist tatsächlich fünf vor zwölf. Der Klimawandel ist spürbar. Mehr und mehr Männer und Frauen leiden an Depressionen und Burn-out. Soziale Medien spielen eine immer gefährlicher werdende Rolle. Größer, schöner, lauter. Mehr Action, mehr Likes. Das Einfache bleibt meist auf der Strecke. Theodor Fontane, der das Kleine mit derselben Liebe wie das Große behandelt hat, weil er den Unterschied zwischen klein und groß nicht gelten lassen wollte, wäre in der heutigen Welt wahrscheinlich verloren. Désirée Wickler ist es nicht.
Sie hat sorgfältig recherchiert. Auch über den Ort ihrer Ausstellung. Einerseits ist der Kreuzgang der Abtei Neumünster eine Grabstätte und daher unmittelbar mit dem Tod verbunden. Andererseits bringt die Kultur, die dort vermittelt wird, eine neue Lebendigkeit mit sich. Der Künstlerin gefällt diese Doppeldeutigkeit. Auch sie spielt in ihrer Kunst gern mit Gegensätzen. Vor allem mit Schatten und Licht. Das Eldorado, nach dem der Reiter in Edgar Allan Poes Gedicht sucht, kommt in ihren Bildern durch das Benutzen von falschem Blattgold zum Ausdruck. Der Schatten, der den Suchenden stets begleitet und der ihm am Ende seines Lebens den Weg durch das Totenreich weist, taucht als schwarze Fläche rund um die Figuren auf.