Interviewtermin im Wiener Schwulentreff „Gugg“. Ein Statement wie die gesamte Kunstfigur der Conchita Wurst.
Es ist wirklich so: Wenn sie den Raum betritt, ist die zierliche, 1,72 Meter große Person mit den überdimensionalen schwarzen Locken raumfüllend präsent. Nicht nur wegen ihres perfekten Stylings samt Bart, sondern auch durch ihre freundliche Art, auf die Menschen zuzugehen. Als sie sieht, dass ich mich mit dem Selfie schwertue, nimmt sie mein Handy selbst in die Hand, stellt uns beide richtig in Position, strahlt in die Kamera und drückt ab. So schnell geht es, von einem Star fotografiert zu werden.
Sie treten demnächst in Luxemburg auf. Waren Sie schon mal da?
Nein, es ist mein erstes Mal, und ich bin schon ganz aufgeregt. Es ist einer der größeren Events seit meinem Sieg beim Eurovision Song Contest. Außerdem werde ich dort einigen Gewinnern begegnen und mit ihnen meine Erfahrungen austauschen, zum Beispiel mit Alexander (Alexander Rybak, Gewinner des ESC 2009, Anm. d. Red.). Ich finde es sehr spannend, Parallelen zu ziehen oder Unterschiede festzustellen.
(Conchita Wurst musste aus persönlichen Gründen den Termin am 25. Oktober in Mondorf absagen. Anstelle tritt Loreen, die Gewinnerin des 2012 Eurovision Song Contest für Schweden mit dem Song “Euphoria”)
Luxemburg ist ein Land mit großer Grand-Prix-Vergangenheit. Wissen Sie, wie viele Sieger es vorweisen kann?
Nein.
Es sind fünf Gewinner…
Wow, das wusste ich nicht!
…Jean-Claude Pascal, France Gall, Vicky Leandros, Anne-Marie David, Corinne Hermès…
Da sind ja ganz erfolgreiche Künstler dabei, eine große Herausforderung für mich. Denn es heißt ja noch lange nicht, wenn man den Song Contest gewonnen hat, dass gleich in Sachen Karriere viel passieren wird.
Luxemburg ist ein Land, das sich ebenso wie Sie der Toleranz verschrieben hat: Fast 50 Prozent der Einwohner haben eine andere Nationalität, es hat einen bekennenden Homosexuellen als Premier. Wie finden Sie das?
Das ist großartig, wirklich großartig. Es freut mich sehr, wieder in ein Land zu kommen, das mich wahrscheinlich wegen seiner Offenheit faszinieren wird. Prinzipiell würde ich mir nicht anmaßen, ein Land wegen seiner Toleranz zu beurteilen. Weil ich mir sage, dass es auch in Stockholm Ecken gibt, wo man eine Person wie mich nicht gerne sieht. Aber Amsterdam oder Stockholm haben mich schon fasziniert, weil man sehen kann, welche Vielfalt dort ist und wie sie zelebriert wird.
„Meine Oma hat immer gesagt, sich schön zu machen, ist eine Form von Respekt den anderen gegenüber.“
Reden wir über die zwei Seelen in Ihrer Brust: Über Tom Neuwirth und über Conchita Wurst. Der eine ein Mensch, der kein „normaler“ Mann ist, die andere eine Kunstfigur, die das Nicht-Normal-Sein thematisiert. Wie leben Sie mit den Irritationen, die beide Personen hervorrufen?
Ach Gott, da muss ich fast unhöflich werden: Das ist belanglos für mich. Unter dem Deckmantel der Anonymität schreibt man im Internet viele Dinge, deswegen kann ich das nicht ernst nehmen. Grundsätzlich habe ich nichts gegen Menschen, die mir kritisch gegenüberstehen und mit mir eine niveauvolle Diskussion führen.
Sie waren vor ein paar Tagen in Brüssel, dort sind Sie vor dem EU-Parlament aufgetreten. Was bedeutet das für Sie?
Das war etwas ganz Großes! Ich habe auch eine Rede gehalten, nicht nur gesungen. Das war mir sehr wichtig. Auf jeden Fall eine einmalige Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die mehr Einfluss haben als ich, und vielleicht einige wichtige Persönlichkeiten davon zu überzeugen, dass wir gerade im Bereich der Menschenrechte noch viel zu tun haben.
Seit Ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest hat sich ihr Leben radikal gewandelt. Was sind die wichtigsten Veränderungen?
Ach, das sind so viele Dinge, ich kann sie gar nicht aufzählen. Es ist alles wichtig, egal, ob es gut oder schlecht war. Ich habe Dinge gelernt, die mir schon immer sehr unangenehm waren. Ich habe gelernt „nein“ zu sagen. Mittlerweile bin ich in der Lage, dass es fast gar nicht anders geht. Ich liebe es, dass mein Terminkalender voll ist. So wollte ich immer, dass mein Leben abläuft. Schlechtes ist mir nicht passiert, außer dass ich mir mühsam abtrainieren muss, es jedem recht machen zu wollen. Das ist wohl das Negativste, was mir passiert ist, aber da jammere ich wohl auf hohem Niveau… (grinst).
Sie meinen, Sie können sich heute mehr erlauben, „nein“ zu sagen?
Ja natürlich, das muss ich auch. Denn ich habe Verantwortung für die sieben Mitarbeiter in meiner Firma. Ich bin nicht mehr nur für meine eigenen Rechnungen zuständig.
Welche interessanten Begegnungen hatten Sie in den letzten Monaten?
So viele, ich kann sie fast nicht einzeln aufzählen. Die bekanntesten waren wahrscheinlich Jean Paul Gaultier und Monsieur Lagerfeld. Ich habe ja Modedesign studiert. Das ist Wahnsinn, da drückt man die Schulbank und hört diese Namen und glaubt nicht wirklich, diese Personen jemals persönlich kennenzulernen…