Mittlerweile ist die Dakar nach Lateinamerika etwas außerhalb des europäischen Blickfeldes entschwunden. Todesopfer fordert die legendäre und umstrittene Wüstenrallye allerdings weiterhin. 15 Jahre nach der ersten luxemburgischen Zielankunft am 23. Januar 2000 erinnert sich unser Journalist Chrëscht Beneké an sein größtes sportliches Abenteuer.
Immer und immer noch werde ich gefragt, wie denn die Dakar so sei. Meine anfangs spontane und längst zur Routine gewordene knappe Antwort lautet: „Saukalt“. Jeder von uns hat so seine Vorstellung von diesem glühendheißen, endlosen Dünenmeer, das aber tatsächlich zum größten Teil aus Steinwüste besteht, und nie habe ich in meinem bisherigen Leben so sehr gefroren! Wegen den überaus hohen Tagestemperaturen starteten wir Motorradfahrer auch längere Verbindungsetappen in unserer sommerlichen Endurokluft unter Mondschein bei frostigen drei, vier Grad. Was nötig war, damit auch die zuletzt startenden LKWs noch genügend lange Tageslicht für die ab Tagesanbruch anstehenden vielen hundert Kilometer Sonderprüfung behielten.
Vielleicht waren die durch Kälte und ununterbrochene Vibrationen entzündeten Gelenke und völlig verkrampften Hände auch der Grund, wieso ich nach bereits wieder rund zehn Stunden auf dieser 14. Etappe über 852 Kilometer vom lybischen Khofra ins ägyptische Dakhla gerne einen Moment bei Masse El Diallo am Streckenrand stehen blieb. Mit hängenden Schultern hoffte er noch auf Rettung, im Biwack würde er seinen kaputten Motor tauschen können. Stehen bleibt bei der Dakar aber eigentlich jeder. Die Solidarität ist legendär und man weiß ja nicht, ob man morgen nicht selber Hilfe benötigen wird. Zuerst fährt jeder gegen die Rallye, auf Ankommen, und erst dann lugt man vorsichtig aufs Klassement. Schließlich schleppte ich den Senegalesen die letzten 100 Kilometer ab. In der einbrechenden Dämmerung tasteten sich zwei weitere Fahrer staunend an unserer wild schlingerndes Gespann heran und leuchteten uns dann leicht vorausfahrend die letzten Kilometer ins Ziel aus. In unserer kurzzeitigen Solidargemeinschaft breitete sich dort eine letztlich unbeschreibliche Genugtuung von „gemeinsam haben wir es geschafft“ und eine tiefe, ehrliche Dankbarkeit über ein gemeinsam durchstandenes Abenteuer aus.
Zuerst fährt jeder gegen die Rallye, auf Ankommen, und erst dann lugt man vorsichtig aufs Klassement.
Es sind vor allem Stimmungen, Momentaufnahmen und natürlich einige entscheidende Situationen, die sich tief einbrannten. Kein Ausblick, nicht einmal spektakuläre Alpenpanoramen bei ehrgeizigen Skitouren, konnte mich seither mehr so überwältigen wie dieser wortwörtlicher Augenblick im Januar 2000. Unvergesslich, wie nach anderthalb Tagen in einer staubigen, grau-in-grauen Landschaft, die nur gelegentlich von schwarz schimmernden, unwirklichen Lavaformationen unterbrochen wird, wir irgendwo mitten in der lybischen Wüste einen Hang hinaufstürmten und oben an einer Abrisskante explodierte, plötzlich vor uns ein Farbenmeer. Tief unten im Vulkankrater breitete sich sattgrün und dunkelblau eine Oase aus.
Mit nur wenig mehr Pech wäre ich nie soweit gekommen: Euphorisch fuhr ich um Platz 30 unter 200 erfahrenen Wüstenfüchsen, aber fragte mich insgeheim: “Bin ich so schnell? Oder verausgabe ich mich zu sehr?” Bereits nach wenigen Kilometern am vierten Tag dann der fast fatale Fehler: Bei einem gefährlichen Überholmanöver übersah ich im dichten Staub einen Felsbrocken. Unter anderem brach die obere Gabelbrücke, die untere verzog sich. Zum Glück hatte ich am Vorabend meine Navigationshausaufgaben gemacht. Ich eierte querfeldein zur nächsten Straße, 70 Kilometer zurück ins Biwack und erhielt vom KTM-Service-LKW kurz vor dessen Aufbruch die Ersatzteile. „Borrel“, mein treuer Mechaniker Marco Borrelbach, flog da längst zum neuen Ziel.
So lernte ich den wirklichen Geist der Dakar kennen. Der bereits ausgeschiedene Luc Alphand schlenderte durchs verlassene Zeltlager. Meine Auskunft, ich schraube gerade hektisch gegen mein Ausscheiden an, bescherte mir mit der französischen Abfahrtslegende, Gesamtweltcupsieger 1997 und 2006 dann Gewinner der Dakar im Auto einen exklusiven und beflissenen Handlanger. Abseits großer Zuschauermassen mitten in der Sahara merkte man regelrecht, wie sich die Stars entspannten, den normalen täglichen Wahnsinnn genossen. Der rund 1.500-köpfige Wanderzirkus hatte Wichtigeres zu tun, als Berühmtheiten hinterherzuhecheln. Auch in der kleinen Medienmeute herrschte keine Paparazzistimmung. Eine Lektion dieser Dakar war sicherlich, die Scheu vor großen Namen zu verlieren. Zufällig und entspannt plauderten wir 2012 in Innsbruck noch einmal in neuen Rollen: Er auf dem Weg zum weltberühmten Streifrennen als Stargast den ersten Olympischen Winterjugendspiele und Vater der vierfachen alpinen Medaillengewinnerin Estelle. Und ich eben als Journalist.